Samstag, 20. Juli 2013

Wider die Sekte

Unter dem Vorwand, die Menschen zusammenzuführen, hat die christliche Religion sie seit jeher in Gläubige und Ungläubige unterteilt. Es genügt den Gläubigen nicht, wenn jemand aus einer menschlichen Gesinnung heraus handelt, solange er dies nicht in Namen Gottes tut. Die Christen sehen sich natürlich auf der Seite des Guten, das in dieser gottlosen Welt tragischerweise zumeist kraftlos verpufft. Immer sehen sie doppelt. In Gesprächen mit ihnen gelingt es mir kaum, sie einmal zu einem Perspektivwechsel zu ermuntern. Nein, ihr ganzes Seelenleben scheint auf diesen Dualismus ausgerichtet zu sein, der die Beweglichkeit ihres Geistes lähmt. Sie können sich oft nicht von sich selbst distanzieren. Wer das von ihnen verlangt, kann eigentlich nur mit dem Satan im Bunde stehen. Sie sind immer im Recht. Entweder ist ihr Gegenüber ungläubig, womit dessen Niedertracht schon halb bewiesen ist, oder es ist gläubig, ließ sich aber vom wahren Weg abbringen. So spielen die Christen gern den wahren Glauben gegen den Irrglauben aus. Alles Verwerfliche, Kranke und Boshafte, das in der Geschichte im Namen Christi getan wurde, weisen sie strikt von sich. Jesus ist rein, seine Lehre die tiefste an Weisheit und Güte. Missgriffe unterlaufen immer nur den armen Menschenkindern hienieden, die diese göttliche Lehre nicht richtig verstehen oder sie absichtlich verfälschen.

Die schlichte Frage, warum ich mich sündig fühlen solle, kann mir kein Christ beantworten, ohne die Sünde als Faktum vorauszusetzen. Dass die eigentliche Sünde darin bestehe, andere Menschen sündig zu sprechen, ist ein Satz, den sie in der Regel nicht verstehen. Sie wehren sich sogar dagegen, ihn zu verstehen. Die Christen wollen sich als aus dem Paradies vertriebene, nach Gnade lüstern über diese Erde schweifende Wesen fühlen. Niemand kann sie davon abbringen, an ihre eigene Sündhaftigkeit zu glauben. Sie brauchen das, sie wollen sich im Schlamm ihrer Verworfenheit suhlen. Mehr noch: Sie fordern auch von anderen, sich in diesem Schlamm zu suhlen. Das nennt man Mission. Die Mission ist sicherlich mit das Unappetitlichste des ganzen Christentums. Bei ihr geht es, ähnlich wie in der Werbung, darum, Menschen etwas zu verkaufen, das sie nicht gebrauchen können. Niemand, dem es gut geht und der sich des Lebens erfreut, würde sich so ohne Weiteres sagen lassen, dass er ein sündiges Wesen sei, das nur durch die Gnade Gottes gerettet werden könne. Folglich muss in einem solchen Menschen die nötige Selbstverachtung erst sorgsam wachgeküsst und seine innere Not behutsam herangezogen werden, bis er sich seelisch als so ausgedörrt und vertrocknet empfindet, dass er den Glauben nötig hat. Nur getrübte Seelen fallen der Sekte zum Opfer.

Die Christen erklären, dass der Mensch allein zu schwach und verworfen sei, um sein Leben selbst zu gestalten. Auch glauben sie, dass kein Sterblicher die göttliche Weisheit jemals ganz ergründen werde. Der Mensch ist also weder in der Lage, auf eigene Faust zu leben, noch dazu fähig, die ungeschminkte Wahrheit zu erkennen. Was er erkennt, ist nichts, es sei denn vielleicht eine unscheinbare Blüte vom Strauß höherer Weisheit. Das Infantile Moment ist dem Christentum immanent. Denn einzig der Herr weiß, was gut für seine Kinder ist, nur seinen Worten darf uneingeschränkt vertraut werden. Viele Menschen heute fühlen sich überfordert. Sie sehnen sich nach jemandem, zu dem sie aufblicken können. Jemand, der ihnen hilft und der sie liebt, nicht irgendwie, sondern so, wie sie sind. Gott ist zu dieser Liebe wie geschaffen, denn er ist gütig und weiß alles. Vor Gott gibt es keine Geheimnisse, darum ist seine Liebe die reinste: Sie sieht direkt auf den Grund des menschlichen Herzens. Wer sonst niemanden hat, darf sich doch daran erfreuen, dass Gott ihn liebt, und zwar tiefer und inniger, als dies ein Mensch je könnte. Deshalb gibt es Menschen, die die Liebe zu einem wirklichen, lebendigen und von warmem Blut durchströmten Partner wegwerfen, um sich stattdessen der ewig sicheren Liebe eines Gottes hinzugeben, der sich gegen ihre Liebesbezeigungen nicht wehren kann.

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