Sonntag, 13. Oktober 2013

Wandelbare Wahrheit

Alles ist dem Wandel unterworfen, sogar die Wahrheit. Wir wünschen uns jedoch klare Antworten auf unsere drängenden Fragen. Absolute Wahrheiten, die so verlässlig sind, dass man ruhigen Gewissens sein Haus auf ihnen bauen kann. Ein Haus, das kein skeptizierender Wolf dieser Welt umpusten kann. Wenn wir erfahren, etwas sei gewiss, glauben wir nur zu gern, dass es so sei. Denn Gewissheiten geben Sicherheit. Man weiß, woran man ist, womit man es zu tun hat. 

Dass wir uns wünschen, dass die Wahrheit auf eine letzte Formel zu bringen sei, verrät mehr über uns, als über irgendeine Wirklichkeit. Die Frage "Was ist Wahrheit?" suggeriert, dass es so etwas wie Wahrheit gibt. Was ist Wahrheit? Das, wonach gefragt wird, ist also bereits vorausgesetzt und die Frage deshalb nicht offen gestellt. Einerseits ist schon klar, dass es Wahrheit gibt, gleichzeitig bleibt aber noch im Dunkeln, was sie ist. Mit anderen Worten: Wir haben das Wort, wissen aber noch nicht, worauf es rekurriert. Das ist merkwürdig, denn wir verstehen ja schon ungefähr, was mit dem Ausdruck Wahrheit gemeint ist; ein gewisses Vorverständnis teilen wir. Sonst könnte wir diese Frage nicht stellen. Die Sprache legt nahe, dass es eine unwandelbare Wahrheit gibt, weil sich der Begriff Wahrheit scheinbar nicht wandelt. Wir gehen sogar davon aus, dass die Menschen früherer Zeiten auch schon nach unserer Wahrheit suchten. Schon die Griechen hätten ja auch nichts anderes getan, als nach jener Wahrheit zu suchen, als sie über die αλήθεια philosophierten. Dass sich die Alten bereits mit unseren Problemen herumschlugen, ist jedoch eine Annahme, der viele oft nicht ansehen, dass sie eine ist. Wir wollen, dass diese Dichter und Denker uns noch etwas zu sagen haben. Wir wollen uns als Kulturmenschen fühlen, die sich mit den immergrünen Fragen beschäftigen, "die die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt haben". Deshalb ebnen wir die Geschichte ein. Deshalb glauben wir, es gebe "ewige" Fragen.

4 Kommentare:

  1. Demnach hätte sich der Mensch nie verändert, weil er als Menschheit zu keiner Änderung imstande ist? Die Frage nach gesicherten Wahrheiten wäre damit noch immer anwendbar und wird es wohl auch bleiben? Gibt es eine absolute Wahrheit? Meines Erachtens war diese Frage, zumindest philosophisch längst geklärt, wenn auch nicht für jeden einzelnen.

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  2. Seit wann ist denn philosophisch etwas geklärt? Philosophen veredeln die Fragen, anstatt sie zu beantworten, dachte ich immer.

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    1. Veredeln? Man kann nur wachsendes und werdendes veredeln. Wahrheiten wachsen nicht. Oder doch?

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  3. Ich denke schon. Wenn du deine Kenntnis vertiefst, wächst damit auch die Wahrheit, die in dir lebendig ist. Und wenn es radikale Umbrüche im Denken gibt, kommen entsprechende Verschiebungen vor.

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