Dienstag, 24. September 2013

Eine entdramatisierende Sicht auf das Leben

Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich beim Buddhismus in erster Linie um Erfahrung. Der abendländische Gegensatz zwischen Glauben und Denken, der unsere Kultur bestimmt, hält nicht die geeigneten Begriffe bereit, um den Buddhismus zu fassen. Denn er ist weder eine Philosophie noch eine Religion im eigentliche Sinne. Ein Buddhist ist kein Mensch, der ein bestimmtes Set von buddhistischen Axiomen als wahr ansieht, weil sie ihn rein intellektuell "überzeugt" hätten. Dann wäre der Buddhismus nur eine Philosophie unter anderen. Zweifellos macht es Sinn, von einer buddhistischen Philosophie zu sprechen; der Buddhismus ist aber weit mehr als das. Es gibt im Buddhismus keinen Himmel und keine Hölle, keinen Gott und kein wahres Wesen der Dinge. Er bietet eine hochgradig entdramatisierende Sicht auf das Leben, könnte man sagen. 

Ich ertappe mich selbst dabei, dass mein erster Schritt auf dem Weg zu einem tieferen Verständnis dieser Lehre darin besteht, erst einmal ein paar Bücher darüber zu lesen. Nach dem Motto: Erst kommt die theoretische Erkenntnis, dann die entsprechende Praxis. Aber der Buddhismus ist gerade keine Theorie über das Leben, sondern erwächst aus dem Leben selbst. Jeder kann selbst nachforschen, ob das, was er da liest, auch stimmt. Niemand muss etwas glauben, was ihm oder ihr nicht selbst einleuchtet. In diesem Sinne laden uns buddhistische Texte dazu ein, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen. Es geht nicht um die historische Welt des Buddha Shakyamuni vor 2500 Jahren, es geht einzig und allein um genau diesen Moment. Nur jetzt können wir herausfinden, ob seine Worte für uns eine Bedeutung haben können oder nicht. Es geht nicht darum, an Buddha wie an einen Heiligen zu glauben. Es geht um das Verstehen. Und das Verstehen ist immer aktuell und individuell, es kann nicht aus dem, was ein Buddha gesagt hat, herausdestilliert und vom  irgendeinem Katheder herab gelehrt werden. Es entsteht jetzt oder gar nicht. 

Die Lehre des Buddha ist nicht einheitlich, es gibt unzählige Schulen und Praktiken. Für jeden ist etwas dabei. Es gibt keinen Dogmatismus. Auch kommt es nicht darauf an, bestimmte Gebote zu befolgen. Die buddhistische Ethik beruht auf keinen starren Grundsätzen, die eine höhere Instanz verkündet. Ein Buddhist muss gar nichts - aber er wird sich darum bemühen, sein Mitgefühl zu entwickeln und tiefere Einsichten über das Wesen des Leids zu gewinnen. Einfach weil es dazu beiträgt, ein glückliches Leben zu führen und die Seele reinigt. Zwar gibt es auch jede Menge Richtlinien im Buddhismus, diese sind aber nicht Selbstzweck, sondern dienen der Orientierung. Wer auf das achtet, was in ihm oder ihr vorgeht, jede Regung in sich ruhig entstehen und vergehen lassen kann, ohne ihr eine besondere Bedeutung beizumessen, braucht keine heteronome Ethik. Wir können den Mechanismus des Leids durchschauen und müssen dann niemals wieder im Kreis der Verblendung laufen. Dann sind wir frei und können gehen, wohin immer wir wollen.

3 Kommentare:

  1. Ich lese hier gerade deine Zeilen und wow!!!!! Eine so wunderbare Beschreibung, was Buddhismus ist habe ich noch nie! gelesen. Diesen Beitrag würde ich nur zu gerne in meinem Blog verlinken! Oh man..... grad in totaler Euphorie schwebe!!! Was für ein Text!!! DAANKE, dass du ihn mit uns TEILST!!!!!

    *ganzausdemhäuschenist-merktmandas?* :DDDDDD

    Viele liebe Grüße,
    Lena

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  2. Ich sitze noch auf Arbeit, kam aber nicht umhin (zum Glück) deinen Text zu lesen. Und ...kann mich Lena nur anschliessen. Ein wirklich guter Beitrag!!!! Obwohl das viel zu trocken klingt...
    Buddhismus nicht als Dogma, als Religion, sondern als Wegweiser in und durch das Leben und darüber hinaus. Jeder wird seinen Pfad finden und erfahren, wenn er sich wirklich ehrlichen Herzens darauf einlässt, und sein inneres ich zulässt und anfängt "zu sehen", "zu fühlen"
    Und mich schon darauf freu, mich mit euch zu dem Thema gemeinsam auszutauschen. :) :)
    Viele liebe Grüsse an euch beide
    Frank

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  3. Es ist mir fast peinlich, diese Worte zu lesen. Ich danke euch.

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